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Spielen und Spiel in der vorbereiteten Umgebung | Wolfgang Fasser
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Spielen und Spiel in der vorbereiteten Umgebung

In der deutschen Sprache, es ist meine Muttersprache, hat das Wort Spiel und das Verb spielen mehrfache Bedeutung. Einerseits versteht man darunter die ludische BetƤtigung der Kinder, so zum Beispiel das freie Spiel. Andererseits wird dasselbe Wort auch fĆ¼r die lebendige Darstellung von Kunst verwendet. Man spricht vom Theaterspiel, dem Klavierspiel etc. Ebenso wird das Wort Spiel auch im Bereich des Sportes benutzt: das Fussballspiel. Spielen im Sinne des Verbes kann die ludische BetƤtigung und aber auch das Instrumentalspiel mit formellen Musikinstrumenten bedeuten. So sind die beiden Bereiche schon sprachlich nahe bei einander.Ā 

Dieser Text geht dem Thema des Spielens in der Kinder-Musiktherapie nach und mƶchte die fĆ¼r sie typische Charakteristik des Verschmelzens von Spiel, szenischer Darstellung, Wort und Musik aufzeigen. Besondere Bedeutung hat dabei der Begriff der vorbereiteten Umgebung, auch individuell gestaltetes Setting genannt.

Die vorbereitete Umgebung

Das entspannende Klima im Musiktherapiezimmer ist eine wichtige Grundlage. Soll doch das Kind seine echten, also authentischen BedĆ¼rfnisse erkennen und stillen kƶnnen und in Ruhe die Umgebung explorieren und mit mir als Musiktherapeut in Beziehung treten und gemeinsam etwas gestalten. Im freien Spiel, der Kontrapunkt zu den strukturierten Vorgaben, wie das gemeinsame Singen, Tanzen, Geschichten erzƤhlen, Ɯben etc., soll dabei dem gestalterischen Dialog nichts im Wege stehen. Welches sind also die Grundpfeiler einer solchen Umgebung? Wild, (2001) umschreibt sie folgendermassen:

  • Es bestehen keine aktiven Gefahren fĆ¼r das Kind. Das Setting ist derart gestaltet dass fĆ¼r den Entwicklungsstand des Kindes keine gefƤhrlichen Situationen entstehen kƶnnen. Dabei ist die Behinderung einzubeziehen, besonders die FƤhigkeit die RealitƤt zu erkennen und die Objekte als das zu benutzen fĆ¼r was sie gedacht sind. Auch wir als Erwachsene kƶnnen zur aktiven Gefahr werden, durch unser voreiliges und bestimmendes Interagieren in das kindliche Explorieren und Experimentieren. Kinder lernen oft Ć¼ber Umwege, was ihnen einen umfangreicheren Eindruck des Objektes oder des Vorganges gibt. Zeigen des ā€žrichtig Machensā€œ ist in diesem Moment ein hindernder Eingriff.Ā 
  • Die Angebote sollen keine Forderungen enthalten. Kinder sollen das tun was sie mƶchten und sollten sich nicht verteidigen mĆ¼ssen.Diese neutralen Angebote ermƶglichen ein Auslesen, das heisst eine Entscheidung. Der Prozess des Erkennens, Bewertens und Entscheidens, schon auf kleinster Stufe, hilft wachsen und selbststƤndig zu werden, (Wild 2001).
  • Erwartungen erwachsenenseits sollen die Beziehung zum Kind nicht bestimmen. Kinder brauchen die liebevolle und respektvolle PrƤsenz Erwachsener um entspannt sein zu kƶnnen. Ebenso benƶtigen sie Regeln und Grenzen. Es sollen wenige, aber klare und zuverlƤssige Regeln sein, die dazu verhelfen die Umgebung entspannt zu gestalten (Wild 2001, Vegetti 2000). Als Erwachsene sind wir dafĆ¼r verantwortlich diese selbst zu beachten und sie mit Gelassenheit und Festigkeit einzuhalten und aufrecht zu erhalten. Grenzen und Regeln dĆ¼rfen niemals als Erziehungsinstrumente missbraucht werden. Ebenso soll das Grenzen setzen nicht mit Liebesentzug einhergehen oder dazu verleiten direktiv zu handeln.Ā 

Als Regel und RegelmƤssigkeiten dienen neben dem freien Spiel feste Strukturen und Rituale. So lege ich Wert darauf, dass wir am Ende der Stunde zusammen die Instrumente und Spielsachen wieder an ihren Ort zurĆ¼cklegen um so sie beim nƤchsten Mal wieder zur VerfĆ¼gung zu haben. Dieses gemeinsame Ordnen und Ordnung Schaffen geht einher mit jeder TƤtigkeit und entspricht einer Grundregel und dient auch als Ritual. Es zeigt das Ende der Stunde an und hilft im Begrenzen des Erlebten. Als Musiktherapeut sehe ich mich ebenso verantwortlich im Bereitstellen der sonor- musikalischen Elemente der ā€žvorbereiteten Umgebungā€œ. So soll das Angebot dem Kind, seinen aktuellen BedĆ¼rfnissen und Entwicklungsstand entsprechen. Die Menge der Instrumente wird von Bedeutung wenn das Kind nicht in der Lage ist zu unterscheiden und auszuwƤhlen. Die daraus resultierende Ablenkung wird so kontraproduktiv. Mehrheitlich lesen die Kinder das aus was sie anspricht und beschƤftigen sich nicht mit ā€žuninteressantenā€œ Objekten. DiesbezĆ¼glich machte ich eine konstante Erfahrung im Klavierzimmer meines Ateliers. Dort liegen auf einem kleinen Tisch BĆ¼cher und Zeitschriften fĆ¼r Erwachsene, (wartende Eltern). Diese wurden noch nie zu einem Spielzeug fĆ¼r die Kinder. Manchmal stelle ich Instrumente in das Zimmer welche im Moment noch nicht von Interesse sind es aber in der Zukunft werden kƶnnen. Sara zum Beispiel spielte wƤhrend 6 Wochen in der NƤhe der Congas, benutzte sie als Versteck bis sie dann darauf zu spielen begann.

Das kindliche Spielen in der Musiktherapie

Situationen in welchem die Musikinstrumente sich verwandeln und zu Schwertern, Burgen, Pferden und Personen werden, gehƶren zum Alltag meiner Kinder-Musiktherapien. Es ist auffallend wie Kinder primƤr mit den Instrumenten spielen und nicht auf ihnen. Der freie Umgang, das heisst auch weit ab von der vorgesehenen Spielweise, ist leicht fĆ¼r die meisten Kinder im Alter von 2 bis 11 Jahren. Grƶssere Kinder betrachten diesen direkten Zugang nicht mehr als ihre Ausdrucksweise und ziehen das Spielen auf den Instrumenten vor, (Klogau 2000). Sie mƶchten lernen wie man ein Instrument richtig spielt, mƶchten Musik machen und es kƶnnen. Es ist typisch fĆ¼r das freie Spiel in der Kinder-Musiktherapie, dass die szenische Darstellung, Rollen- und Bewegungsspiele, Wort und Musik ein Ganzes sind. Die Musik ist untrennbarer Bestandteil des improvisatorischen Geschehens. Die Kinder kommen nicht ins Atelier um bloss zu musizieren, sie kommen hierher um mit mir etwas zu gestalten undĀ  zu erleben. Sie mƶchten ihre Geschichten und Themen darstellen und die hiesige Welt erkunden.Diese Tatsache war und ist nach wievor eine Herausforderung fĆ¼r mich als Musiktherapeut. Es taucht unweigerlich die Frage auf: Ist es noch Musiktherapie wenn wir uns phasenweise gar nicht mehr mit Musik beschƤftigen? Sollen die Kinder musizieren in der Musiktherapie? Wo sind die Grenzen zwischen Spiel- und Musiktherapie? Diese Fragen sind der Ausdruck der beruflichen IdentitƤtsverunsicherung. Die Tatsache jedoch, dass wir es mit Kindern zu tun haben wirkt lƶsend. Der Zugang soll ja kindgerecht sein und sich nicht am Festhalten an methodischen Definitionen orientieren. Das Modell der ā€žintegrativen Musiktherapieā€œ, formuliert von Frohne-Hagemann (1999) sieht konzeptionell vor, dass das Medium Musik, Spiel, Tanz, GesprƤch und andere kreative Ausdrucksformen sich abwechseln kƶnnen um den Kontakt mit dem Patienten aufrecht zu erhalten. Die Beziehung, der Dialog steht dabei im Mittelpunkt des Interesses und ist einem ā€žmono-methodischenā€œ Verfahren Ć¼bergeordnet. Auch in anderen Modellen der Kinder-Musiktherapie sind kombinatorische Verfahren zu finden, (Schumacher 1994, Orf 1982). Ein wegweisender Ausspruch fĆ¼r diese integrative Vision in der KMT kam von Winnicot 1985: ā€žDas Spielen in der Therapie soll spontan sein, nicht angepasst oder gefĆ¼gig, wenn Psychotherapie gelingen sollā€œ. Diese grundlegenden Gedanken, Haltungen und Tatsachen sind auch in die heilpƤdagogisch- orientierte Musiktherapie Ć¼bertragbar. Die kindliche szenische Darstellung ist von grosser Ausdruckskraft.Ā 

Darin einbezogen zu sein ist oft herausfordernd, ja sogar provozierend fĆ¼r mich als Erwachsener. Meine eigenen UnfƤhigkeiten und Hemmungen dabei wahrzunehmen hilft mir tieferen Einblick in das Transfert-Kontratransfert-Geschehen zu bekommen und der Mehrschichtigkeit des Spieles gewahr zu werden. Ebenso dient dieser Prozess der Erweiterung meiner Improvisationsfreude und -freiheit. Dieses stƤndige Weiten meiner spontanen gestalterischen FƤhigkeiten geht einher mit dem stƤndig prƤsenten pƤdagogischen Ansatz welchen ich durch Jacoby zu schƤtzen lernte: Dieser gilt sowohl fĆ¼r das Kind als auch fĆ¼r mich. nƤmlich die alltƤgliche Fƶrderung von:Ā 

  • der Bereitschaft zur Erfahrung
  • der Bereitschaft zur Aktion
  • der Bereitschaft zur Improvisation
  • der Bereitschaft zur Leistung.

Sowohl das direkte Spiel, geprƤgt von affektiven und sensomotorischen Elementen, als auch das symbolische Spiel spricht alle Sinne an. Dieses sinnliche Erleben und Gestalten der Kinder-Geschichten, deren Strukturierung und das schlussendliche Verstehen ist eines der Anliegen der Kinder, (Klogau 2000). Durch der Szene entsprechende Medien und Hilfsmittel kann ich als Musiktherapeut den kleinen Protagonisten dabei unterstĆ¼tzen. In der Schatzkammer des Ateliers gibt es Vielerlei: Puppen, PlĆ¼schtiere, Seile, Schalen, Schachteln, ein Arztkoffer etc. Wo mƶglich begleite ich das Tun des Kindes mit musiktherapeutischen Elementen:

  • improvisatorisches vokales und instrumentelles Begleiten
  • verbales Kommentieren
  • spontan erfundene Lieder
  • AtmosphƤrisch oder thematisch intonierte Musik ab TontrƤger.

Im freien Spiel wechseln sich Momente ab in welchem ich als Person Mitbeteiligter bin oder zur Umgebung gehƶre. Diese ƜbergƤnge kƶnnen mehrere Male wƤhrend einer Stunde wechseln und ich versuche diese vorsichtig wahrzunehmen. In Therapien wo das Thema Kontakt, Interaktion und Dialog im Vordergrund stehen ist die Entwicklung dieser beiden Involvierungs-ModalitƤten von diagnostischer und therapeutischer Bedeutung und wird auch als Kontrollparameter beobachtet.

Was kann es bedeuten keine Musik zu machen?

Diese Frage ist eine typische Erwachsenenfrage. Meine Kinder kĆ¼mmern sich nicht darum. FĆ¼r sie ist die Musik und das Musizieren ein integrierter Bestandteil. Der Frage nachgehend fand ich folgende mƶgliche Antworten:Ā 

Nicht-Musizieren dient der NƤhe ā€“ Distanzregulierung. Das gemeinsame Spiel kann bedrohliche NƤhe und oder daraus folgende Trennung bedeuten und wird deshalb vermieden, (Klogau 2000)

Ablehnung des elterlichen Wunsches oder des Wunsches des Musiktherapeuten, in der Therapie zu musizieren. Das Kind zeigt somit an, dass es seine eigenen Vorhaben in der Therapie realisieren will, das heisst Autonomie.

Ablehnung von kreativen und musikalischen Vorgaben. Das Kind will ganzheitlich spielen und sich ausdrĆ¼cken und reagiert auf einen zu engen Rahmen. Es mƶchte seine Gesamtkomposition kreieren.

Benigne Regression. Diese hilft auf ein Niveau zurĆ¼ck zu kommen in welchem durch das ā€žNachnƤhrenā€œ Defizite aufgeholt werden und die authentischen BedĆ¼rfnisse gestillt werden kƶnnen.

Regression im Sinne des Widerstandes und der Abwehr um aktuellen Konflikten und Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen. Vermeiden des voreiligen Interpretierens des ā€žNicht-Musizierensā€œ jedoch zeigte sich mir als Ƥusserst dienlich, konnte ich doch in vielen dieser Situationen nachtrƤglich dem Erlebten einen positiven Sinn geben und konnte die Bedeutung innerhalb des Prozesses erkennen.

Was fordert die Musiktherapie mit Kindern von mir als Musiktherapeut?

Das ā€žNicht- Musizierenā€œ ist ebenfalls eine Herausforderung der Musiktherapeuten-IdentitƤt. Diese, wie schon vorher angedeutet, bringt uns in der Kinder-Musiktherapie auf die Gleichbewertung von Spiel und Musik. Eine unvermeidliche Korrektur des beruflichen SelbstverstƤndnisses. Der aktive Einbezug fordert uns darĆ¼ber hinaus auf:

therapeutisch anwesend zu seinĀ 

emotionell zu VerfĆ¼gung zu stehenĀ 

bereit zu sein szenisch mitzuspielen

musiktherapeutisch und mit Worten das Tun des Kindes zu kommentierenĀ 

zu reagieren

Diese Erwartungen an mich selbst bedeuten eine tƤgliche Schule und die Annahme meines eigenen Wachstums. Das Austragen der sich stƤndig wandelnden beruflichen IdentitƤt und der produktiven Unsicherheit in jeder therapeutischen Begegnung erƶffnen so einen notwendigen Raum der persƶnlichen und beruflichen Entwicklung.Ā 

Gerade mit den Kindern geht das Vorgeben von Situationen, die Beobachtung was sie daraus machen und die daraus folgende Weiterentwicklung des Ansatzes Hand in Hand:Ā 

gemeinsam wachsen.

Auszug aus dem Buch Crescere Insieme (Italienisch)