Hände im Dialog Â
von Wolfgang Fasser
Gedanken zu Beratungsgespräche im pflegerisch-therapeutischen Alltag.
Berührungen sind die erste Form des Dialoges mit der Welt ausserhalb von uns selbst. Die frühe Mutter-Kind-Beziehung lebt von Wahrnehmungen über die Haut, von Nähe und Wärme – sie vermitteln Empfindungen der Geborgenheit und eine erste Ahnung der Bedeutung dieses Urbedürfnisses. Unser ganzes Leben lang bleiben Berührungen und die Sprache der Hände eine der wichtigsten Kommunikationsformen unter Menschen.
Magdalena, meine älteste Patientin, sitzt ruhend und geniessend auf dem KĂĽchenstuhl. Das Feuer im Kamin knistert gemĂĽtlich, sie hat es speziell fĂĽr diese Stunde entfacht. So hätte sie etwas wärmer, meinte sie schmunzelnd. Aufmerksam spĂĽrt sie meinen massierenden Händen nach. Nach Beendigung der Behandlung nimmt sie meine Hände in die ihren, hält sie fest und verweilt fĂĽr einige Momente. Eine Geste der Dankbarkeit, des Verbundenseins. „Deine Hände sind wunderbar“, sagt sie, sie tun mir gut – bis tief in meine Seele. Wenn ich die massierenden Bewegungen auf meinem RĂĽcken spĂĽre, wird vieles heil in mir.“ FĂĽr einen kurzen Moment hält sie meine Hand an ihre Wange.Â
Bewegende Erlebnisse wie diese erlebe ich als praktizierender Physio- und Musiktherapeut täglich. Als Fachmann ĂĽbersehe ich zuweilen die FĂĽlle und den Wert eines solchen Momentes, doch als Mensch ist mir die Einzigartigkeit dieser heilsamen Begegnungen wohl bewusst, und ich bin dankbar fĂĽr die Erfahrung, dass mit einer einfachen BerĂĽhrung auch die Seele eines Menschen erreicht werden kann.Â
BerĂĽhrungsbotschaften brauchen Zeit
Im zeitlich gedrängten Alltag sind wir BerĂĽhrungsprofìs allzu oft versucht, die technisch-praktische Seite der Handlungen in den Vordergrund zu rĂĽcken. Doch Kinder, geistig- und mehrfach-behinderte, und ältere Menschen fordern uns immer wieder auf, innezuhalten und via „BerĂĽhrungsdialog“ mit ihnen in Verbindung zu treten – fĂĽr einen Augenblick die Zeitebene zu verlassen und auf eine Ebene des Austauschs zu wechseln, die vielsagend, aufschlussreich und nährend sein kann.Â
Die Sprache des BerĂĽhrens, die Sprache der Hände als Kommunikationsmittel ist ein wichtiger Aspekt unserer Sinneswahrnehmung und BerĂĽhrungskultur. Viele positive und negative Erfahrungen, die bis in unsere Kindheit zurĂĽck reichen, sind Erinnerungen an BerĂĽhrungen oder manchmal auch das Fehlen dieser BerĂĽhrungen, das „Nicht-berĂĽhrt Werden“. In aller Regel wird auf die Sprache der Hände viel zu wenig Aufmerksamkeit gelenkt. Unsere Hände sprechen und spĂĽren durch Kontakt und Bewegungen. Ăśber sie drĂĽcken wir Emotionen aus und nehmen Gesten wahr – oder deutlicher gesagt – mit den Händen senden und empfangen wir BerĂĽhrungsbotschaften.Â
Die wahrnehmende Hand
Was benötigen wir dazu? Spezielle Techniken und berufliches Wissen? Ich denke nein. Es genügt, wach und achtsam mit den Mitmenschen in Kontakt zu treten. Bereit für eine dialogische Dimension des Berührens und Berührtwerdens – empfangend und gebend. Wachsamkeit, manchmal auch Intuition, kann hilfreich sein, eine der Situation adäquate Gefühlswärme anzubieten. Genauso wichtig ist ein respektvolles Achten der Bedürfnisse und gegebenenfalls eine gesunde – für beide Seiten schätzende – Distanz den Menschen gegenüber, die unsere Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Auch hinter einer extrem zur Schau getragenen Abwehr gegen Berührung kann sich ein Manko an Zuwendung verbergen. Das richtige Mass von Nähe und Distanz zu finden, ist nicht immer leicht, wird aber dazu beitragen, unangenehme, verstrickende Situationen vermeiden zu helfen.
(Publiziert: radius Magazin des vci Juni 2000)