Gedanken zum „Burned out-Syndrom“
Sich einbringen statt ausbrennen
Von W. Fasser und J. Schiltknecht
„Burned out-Syndrom“ nennt man einen Zustand, den man früher etwa als völlige Erschöpfung oder Überdruss bezeichnet hätte. Nichts geht mehr, unsere vitale Kraft, unsere Energien scheinen versiegt zu sein. Geraten wir in einen solchen Zustand, sollen wir diesen ansehen ohne zu werten. Wir müssen uns hüten, zu pathologisieren, z.B. von „Depression“ zu sprechen.
Zunächst sind wir ratlos, wissen nicht, „warum uns dies geschieht“ und suchen den Grund in äusseren Umständen, z.B. im Arbeitsvolumen, im „Stress“, in der unkollegialen Haltung von Mitarbeitern, beim bösen Chef usw.
Unsere lähmende Erschöpfung, der Zustand des „Ausgebrannt-seins“ spielt uns jedoch die Chance zu, uns zu besinnen und nachzuspüren, in welcher Art unsere Energiebilanz aus dem Gleichgewicht geraten ist. Wir meinen wohl zunächst, wir hätten zu viel Energie ausgegeben. Stellen wir uns aber auch die Frage, ob wir uns genügend energetische Nahrung zugeführt haben? Bevor wir diese Frage vertiefen, wollen wir uns überlegen, welche Zeichen der Erschöpfung und des Überdrusses wir von uns selbst oder von anderen her kennen: Die Arbeitsfreude schwindet, auch die Freude in der Freizeit nimmt ab. Wir ergreifen wenig Initiative, funktionieren vielleicht überaktiv, applizieren die Verrichtungen routinemässig, schauen auf die Uhr und sehnen uns nach dem Feierabend. Mitarbeitern gegenüber verhalten wir uns unflexibel, sind reizbar. Die lustlos durchgestandene Arbeit nährt uns nicht mehr unmittelbar, wir versuchen, durch Verlagerung auf eine andere Ebene, z.B. auf die Ebene des Portemonnaies Befriedigung zu erlangen. Die Begegnung mit anderen Menschen wird nicht mehr als nährend erfahren. Patienten, Schüler, Kunden werden nur noch „uniformiert“ wahrgenommen. Der Alltag wird grau, beschert uns scheinbar immer das gleiche und wir werden unfähig die Lichtblicke wahrzunehmen. Eros schläft ein, das Leben wird „ent-sinnlicht“. Unsere Empfangs- bereitschaft erlischt. Dauernd sind wir müde, erwachen schon müde, doch der Schlaf ist gestört. Vielleicht erledigen wir nur noch das Unerlässliche, um uns dann in einen Schlaf zu flüchten, der keine Erholung bringt. Unsere Muskulatur verspannt sich oder wird schlaff, wir verspüren Brennen in den Händen und Füssen, einen trockenen Mund und andere vegetative Symptome. Es ist allgemein üblich, in dieser Situation nach äusseren Bedingungen Ausschau zu halten und diese für unsere tiefe Verstimmung verantwortlich zu machen Prompt finden wir „den Grund“, z.B. in der Arbeitsüberlastung oder im Stress, bei schwierigen Patienten, Schülern oder Kunden, bei unkollegialen Mitarbeitern, unverständigen Vorgesetzten usw. Kein Wunder, dass wir uns danach sehnen, die Stelle zu wechseln um einen Ort aufzusuchen, wo vermeintlich“günstigere Umstände vorliegen“ oder einen anderen Beruf auszuüben, in welchem wir uns sogenannt „besser realisieren können“.
Es mag ja tatsächlich nötig sein, eine äussere Veränderung vorzunehmen. Doch damit ist das Denkmuster, die Haltung, welche uns hat ausbrennen lassen, nicht angesprochen und es besteht somit keine solide Basis für eine wirklich neue Perspektive.
Anstatt schnell nach einer äusseren Veränderung zu suchen, um „den Kessel zu flicken“ sind wir dazu aufgerufen, unsere Erschöpfung und das Gefühl des Leerlaufs, unseren Überdruss oder gar unsere Arbeitsunfähigkeit als Chance zu nutzen, uns selbst dringliche Fragen zu stellen:
Bin ich wirklich im Hier und Jetzt verankert?
Was ernährt mich denn eigentlich?
Was gewinne ich aus der gelebten Beziehung mit meinen Patienten/ Schülern/Kunden
Mit meinen Angehörigen?
Bin ich auch willens, Freude, Dank, Wertschätzung, die mir von anderen Menschen entgegengebracht werden, anzunehmen?
Was bedeutet Dank?
Wie menschlich gestalte ich meine Beziehungen?
Lasse ich mich in Frage stellen, oder halte an einer professionellen Rolle fest?
Wie sehr bin ich bereit, mich zu verändern und zu wachsen?
Fühle ich mich für diese Aufgabe berufen oder tue ich das, was ich tue nur deshalb, weil ich nichts anderes kann?
Sollte ich wirklich eine ganz andere Berufung haben, so muss ich, um mein Leben nicht zu verpassen, den sehr langen und entbehrungsreichen Weg zu meinem eigentlichen Beruf unter die Füsse nehmen. Ist es jedoch so, dass ich eigentlich den richtigen Beruf gewählt habe, was wohl der häufigste Fall ist, so muss ich mich meiner Berufung stellen, und zwar auch in ihrer sozialen Dimension, d.h. als Dienstleisung für meine Mitmenschen Jahrelang kann ich mich scheinbar ungestraft schlitteln und baumeln lassen, meinen Job schlecht und recht ausführen, ohne dass etwas dramatisches passiert. Dabei schwindet ganz unmerklich die Lebensfreude, alles verleidet mir. Stehe ich kurz vor einem Entschluss, z.B. einer Kündigung, kommt vielleicht eine Lohnerhöhung, oder der Chef wechselt und es geht einigermassen weiter. „Man bringt sich über die Runden“. So zu leben bedeutet, schon halb gestorben zu sein.
Lasse ich mich durch seine Gefühle in Resonanz bringen?
Ein weiteres Vorbeugen gegen das Ausbrennen liegt in meiner persönlichen Lebensgestaltung auch rund um die Arbeit herum. In meinem Alltag muss ein Freiraum zur Besinnung geschaffen werden, er kommt nicht von selbst. Erst in der Stille entstehen die nüchtern reinen Gedanken, die eine bewusste Lebensführung ermöglichen und mein weiteres Wachstum sichern.
Stets muss ich die Frage wiederholen: „Was tue ich hier?“ Ist mein Leben, so wie ich es jetzt führe, das, was ich gewählt habe, das, das mich nährt? Vielleicht sind einige Besinnungstage nötig, damit ich mich von der üblichen Unruhe entwöhnen kann und zur Klarheit komme. Auch ist es hilfreich, sich mit ganz anderen Themen zu befassen (Kunst, Musik, Natur etc.) oder anderen Menschen zu begegnen, die etwas zu sagen haben.
Der Drang nach Wachstum gehört ununterdrückbar zum Menschsein. Glück bedeutet, freudig diesem Drang nachzugeben und die Furcht vor der Veränderung zu überwinden.
Es entsteht ein Stau, wenn der innere Drang zum Wachstum und die äussere Realisation auseinanderklaffen. Wir verraten unsere innere Bestimmung, wenn wir unser natürliches Wachstum durch Trägheit, Ablenkung, unsinnigen Aktivismus in Frage stellen oder einem fremden Anspruch nachgeben, der unserer Aufgabe zuwiderläuft. Gegen das Hinaus-schieben des nächsten Schrittes hilft der heilsame Gedanke: Wenn ich es jetzt nicht mache, wann dann?
Gedanken zu Gedanken
Es gehört zur geistigen Hygiene, sich zu seinen Gedanken Gedanken zu machen. Wie kann man lernen, gesund zu denken? Die Antwort ist sehr einfach: wenn ich mich mit Tatsachen befasse, nicht mit Meinungen über Tatsachen, wenn ich die Realität beschreibe und Wahrnehme, nicht interpretiere. Das bedeutet z.B. im „Fall“ eines Hexenschusses mit Ischiassyndrom einen Menschen zu sehen mit einer schmerzhaften Gehbehinderung und nicht einen Fall von Diskusprolaps und dann gleich ein inneres Szenario zu entwickeln mit schlechter Prognose etc.
Was ist meine eigentliche, tiefe Absicht? Enstammen meine Gedanken einer liebevollen, wachstumsfreundlichen Grundabsicht oder denke ich auf Abbruch? Helfen mir meine Gedanken, mich so zu fühlen, wie ich es wünsche? Entwerfe ich mir ein persönliches realistisches Programm? Erkenne ich meinen Lebenslauf, meine Lebensphase, meine aktuelle Situation als Tatsache an und als Basis für eine weitere Entfaltung? Um sich mit diesen Fragen ernsthaft zu befassen, ist es notwendig, regelmässig einen Raum der Stille aufzusuchen, es empfiehlt sich das Führen eines Tagebuchs, vielleicht das schriftliche Festlegen einer Art von „Glaubensbekenntnis“ für meinen Beruf und auch für die Gestaltung meiner persönlichen Beziehungen. Es ist unerlässlich, Gespräche mit qualifizierten Kollegen/innen zu führen und mir immer wieder die Frage zu stellen: „Was tue ich da?“
So ist es möglich, meine innere und äussere Welt in Einklang zu bringen.